Austauschschülerin Kana aus Japan und Hellen

Meine Erfahrungen als Gastschwester

Ich bin Hellen. Mittlerweile ist es schon 10 Jahre her, dass Kana aus Japan durch ein Austauschjahr in unsere Familie gekommen ist. Im September 2008 wurden wir ein Familienmitglied mehr. Und anders als es sonst ist, wenn man Geschwister bekommt, war meine neue Schwester schon 16 Jahre alt und ich habe mich auf Anhieb gut mit ihr verstanden.

Austauschschülerin Kana aus Japan und Hellen

Wie es dazu kam, dass meine Familie ein Gastkind aus Japan aufnahm

Ich bin Einzelkind. Naja, eigentlich war ich Einzelkind, denn ich habe ja jetzt eine Schwester in Japan. Ich hatte mir schon immer Geschwister gewünscht. Außerdem gab es auch im Bekanntenkreis meiner Eltern Gastkinder aus aller Welt und so kam es, dass auch meine Familie sich dazu entschied, einen Gastschüler aufzunehmen. Andere Freunde, die wiederum gar nichts mit Schüleraustausch am Hut hatten, konnten sich das überhaupt nicht vorstellen. Ein Jahr lang ein weiteres Familienmitglied bei sich zu Hause aufnehmen? Unvorstellbar. Aber trotzdem fanden es alle toll und waren interessiert, was Kana so von Japan erzählte.

Kanas Ankunft in Deutschland

Wir haben Kana am Flughafen in Frankfurt abgeholt. Schon auf der Autofahrt zurück nach Hause haben wir viel miteinander gesprochen. Als wir bei uns zu Hause ankamen, zeigte ich ihr gleich ihr neues Zimmer. Vorher diente es als unser Gästezimmer. Rückblickend glaube ich, dass ich in meinem Eifer gar nicht daran gedacht habe, dass Kana wahrscheinlich total müde von der Reise sein musste. Neugierig habe ich meine neue Schwester immer weiter mit Fragen gelöchert. Obwohl Kana bei ihrer Ankunft kein Deutsch konnte, haben wir uns trotzdem immer irgendwie verstanden. Meist ging es mit Händen und Füßen, aufzeichnen auf Papier oder auch einfach auf Englisch. Manchmal hat sie dann aber doch ihren japanischen Übersetzungscomputer rausgeholt.

Um ihr das Deutsch lernen etwas zu vereinfachen haben wir in der Wohnung fast alles mit beschrifteten Post-Its beklebt. Kana ist natürlich nicht nur in unserer Familie angekommen, sondern auch in einem für sie komplett fremden und neuen Land. Auch unsere Kultur ist total anders als die, die sie aus Japan gewohnt war. Kana war anfangs sehr zurückhaltend und oft in ihrem Zimmer. Ich habe sie damals einfach immer überall mit hingenommen. Wenn ich in die Stadt gegangen bin, auch, wenn es nur kurz war, um eine Kleinigkeit zu besorgen, habe ich gesagt „Komm Kana, wir gehen in die Stadt“. So musste ich nicht alleine los und konnte Kana gleich die Umgebung zeigen. Ich habe sie auch mit zu meinem Rudertraining gekommen, wo sie dann gleich die Chance hatte, neue Leute kennen zu lernen und Freundschaften zu knüpfen. Dieses „an die Hand nehmen“ hat ihr das Einleben und die Ankunft im neuen Zuhause auf Zeit einfacher gemacht und es fiel ihr leichter sich zu integrieren. Nach etwa 3 Monaten hat sie sich dann auch schon auf Deutsch unterhalten können und hat sich immer öfter selbst mit Freunden verabredet.

Keine Probleme beim Altersunterschied

Als Kana ihr Auslandsjahr bei uns verbracht hat, war ich 13 Jahre alt. Ich bin also ganze 3 Jahre jünger als sie. Der Altersunterschied war aber nie ein Problem. Kana hat sich in der Schule ihren eigenen Freundeskreis aufgebaut und so haben wir manchmal gemeinsam etwas unternommen und manchmal hat jeder was mit seinen eigenen Freunden gemacht. Für mich war es eine tolle Erfahrung, meiner älteren Schwester Dinge beizubringen, zu erklären oder Wege und Orte in der Stadt zu zeigen. Sonst wissen die älteren Geschwister ja meistens immer mehr als die jüngeren.

Die Aufgaben als Gastschwester

Feste Aufgaben hatte ich nicht. Aber ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Kana die Ankunft in Deutschland einfacher zu machen. Und dann fand ich es natürlich auch toll, weil ich die Aufgaben im Haushalt, die ich vorher hatte, nicht mehr alleine machen musste. Meist haben wir dazu im Wechsel japanische und deutsche Musik gehört. Da Kana zwar in eine andere Klasse als ich ging, aber auf dieselbe Schule, habe ich ihr dann auch anfangs an der Schule vieles gezeigt und mit ihren Lehrern gesprochen und erklärt warum und wie lange sie hier ist. Schnell hat sie aber in ihrer Klasse Freundinnen gefunden, die ihr ab da immer geholfen haben, zum Beispiel die hohe Kunst, wie man den (damals per Hand geschriebenen) Vertretungsplan liest.

Was ich besonders schön in Erinnerung habe

  • 2 Wochen Pfingstferien in der Toskana. Zu viert haben wir im Wohnwagen in Italien Standurlaub gemacht und an manchen Tagen Ausflüge in nahe gelegene Städte gemacht.
  • Besonders toll fand ich auch, wenn Kana für uns mal japanisch gekocht hat. Wir haben von ihr gelernt, wie man Sushi oder japanisches Schnitzel macht.
  • Die Schwester-Bastel-Backaktionen: Wir haben zusammen japanisches Origami gefaltet, gemalt oder gebacken.

Und als kleiner Fun-Fact zum Schluss: mein Vater wird heute noch von manchen Freunden aus Spaß "Üwe" genannt, weil Kana U und Ü nicht so recht unterscheiden konnte. So wurde aus Uwe kurzer Hand Üwe. Der Spitzname ist auch heute noch geblieben.

Und jetzt?

Mittlerweile ist Kana verheiratet und Mutter einer Tochter. Wir haben nie den Kontakt verloren. Auch heute schreiben wir uns noch regelmäßig und berichten, was bei uns los ist. Einmal im Jahr schicken wir uns ein kleines Päckchen, hauptsächlich mit Süßigkeiten, Fotos und einer Karte. Zusammen mit meinen Eltern habe ich Kana 2010 besucht und 2017 habe ich im Rahmen eines Austauschprogramms nochmal die Möglichkeit gehabt mich mit ihr zu treffen und ihren Mann kennen zu lernen. Das alles war eine ganz tolle Erfahrung, die ich nicht missen möchte.